Krebs Protonentherapie

Millimetergenau können am Paul Scherrer Institut PSI bestimmte Tumore mit Protonen, also positiv geladenen Teilchen, bestrahlt werden. Diese besonders schonende und präzise Möglichkeit für die Bestrahlung ist schweizweit nur am PSI möglich. Jetzt hat das PSI, wo schon über 8000 Patienten erfolgreich bestrahlt wurden, seine Kapazitäten in einem gemeinsamen Projekt mit dem Universitätsspital Zürich und der Universität Zürich um einen hochmodernen Behandlungsplatz erweitert: das neue, 270 Tonnen schwere Gerät namens Gantry 3.

Nach vier Jahren Planungs- und Bauzeit sowie einer einjährigen Testphase ist es jetzt soweit: Der modernste Bestrahlungsplatz am Zentrum für Protonentherapie ZPT des Paul Scherrer Instituts PSI - die Gantry 3 - wird eröffnet. Mit 270 Tonnen Gesamtgewicht und einem Durchmesser von 10,5 Metern ist die Gantry 3 das grösste Gerät, welches je am ZPT installiert wurde. Von dem Einsatz der Gantry 3 versprechen sich die Mitarbeitenden vor allem kürzere Wartezeiten für krebskranke Patienten. Damien Weber, Chefarzt und Leiter des Protonentherapiezentrums am PSI: „Mit der Gantry 3 können wir mehr Patienten als bisher die hochwirksame Protonentherapie anbieten, weil wir mehr Kapazitäten haben. Das wird insbesondere Kindern zugutekommen, für die eine herkömmliche Krebsbestrahlung zu risikoreich wäre. Mit der Protonentherapie bestrahlen wir genauer und schonen das gesunde Gewebe in der Umgebung des Tumors besser."

Auch der Radioonkologe Matthias Guckenberger vom Universitätsspital Zürich, das eng mit dem ZPT zusammenarbeitet, hat hohe Erwartungen an den neuen Bestrahlungsplatz: „Die Hälfte der Patienten, die wir an das Paul Scherrer Institut überweisen, sind Kinder. Die Gantry 3 ermöglicht es, alle in Frage kommenden Patienten zeitnah zur Protonentherapie zu schicken. Parallel dazu wird sich durch dieses gemeinsame Projekt auch die Zusammenarbeit zwischen dem PSI und dem Universitätsspital Zürich weiter festigen. Protonentherapie ist eine hochspezialisierte Behandlung, die an spezialisierte Zentren und universitäre medizinische Strukturen gehört."


Langjährige Erfahrung bringt Krebsbehandlung voran

Das Paul Scherrer Institut hat auf dem Gebiet der Protonentherapie eine jahrzehntelange Expertise und konnte bereits über 8000 Krebspatienten helfen. Über 500 davon waren Kinder. Mit Pionierleistungen wie der Entwicklung einer neuen Bestrahlungstechnik - dem sogenannten Spot-Scanning - haben die PSI-Forschenden die Protonentherapie schon vor Jahren revolutioniert. Erst mit diesem Verfahren wurde sie so präzise und risikoarm, dass Ärzte inzwischen in immer mehr Ländern Protonenstrahlen zur Behandlung von Krebspatienten einsetzen.

Denn mit dem Spot-Scanning kann man sogar Tumore umgeben von strahlenempfindlichen, sehr kritischen Strukturen behandeln. Dazu gehören beispielsweise bestimmte Hirntumore wie Meningeome, Tumore im Hals-Nasen-Ohren-Bereich, Geschwülste in der Nähe des Rückenmarks oder einige Arten von Bindegewebs- und Knochentumoren. „Krebspatienten, die noch vor 20 Jahren als unheilbar eingestuft wurden, haben mit der Protonentherapie und dem Spot-Scanning endlich eine Überlebenschance", sagt Weber. „Darüber sind wir sehr glücklich und die vielen geheilten Patienten allein am PSI zeigen, dass unsere jahrelange intensive Forschung in die richtige Richtung gegangen ist."


Teamwork für jeden Patienten

Die gute Zusammenarbeit und der enge Austausch zwischen dem PSI und dem Universitätsspital Zürich sowie allen Schweizer Universitätsspitälern und weiteren spezialisierten Kliniken wie in Aarau, Luzern und St. Gallen haben gemäss Weber entscheidend zu diesem Erfolg beigetragen. Jeder Krebspatient bekommt einen individuell auf ihn zugeschnittenen Behandlungsplan. Dieser kann auch Behandlungsformen wie Operationen oder Chemotherapie zusätzlich zur Protonentherapie beinhalten. 

Protonentherapie mit der Spot-Scanning-Technik bedeutet, dass ein Strahlenbündel aus positiv geladenen Atomteilchen auf einen Tumor geschossen wird und dass das Strahlenbündel diesen Tumor von hinten nach vorne, Ebene für Ebene und Reihe für Reihe, abrastert - bis der Protonenstrahl die Geschwulst an jeder Stelle erreicht hat. Manche Krebsarten umwachsen empfindliche Körperstrukturen wie beispielsweise den Sehnerv oder haben eine sehr unregelmässige Form. „Wenn man diese Tumore mit herkömmlicher Strahlentherapie behandeln würde, müsste man ein viel zu grosses Gebiet bestrahlen, um auch wirklich den ganzen Tumor zu treffen", erklärt Weber. Gerade bei diesen komplizierten Tumoren spielt die Protonentherapie ihren besonderen Vorteil aus: Nur bei einem Protonenstrahl lässt sich steuern, wie tief im Körper die Teilchen ihre maximale Wirkung entfalten sollen. Zwar durchdringen sie bis dahin andere Gewebe, doch richten sie dort wenig Schaden an. Die Gewebe hinter dem Tumor bleiben unversehrt. Bei der Protonenbestrahlung gibt es somit weniger Nebenwirkungen als bei einer herkömmlichen Strahlentherapie.


Stahlkoloss für Präzisionsarbeit

Um den Tumor mit dem Protonenstrahl bis auf einen Millimeter genau zu treffen, ist grosse und schwere Technik nötig. Davon merkt der Patient am Behandlungsplatz wenig. Er sieht nur die Patientenliege vor einer weiss verkleideten Wand. Deren Design wirkt wie ein überdimensionales Rad und verdeckt die eigentliche Gantry. In einem Kasten über der Patientenliege befindet sich der Strahlkopf, aus dem der Protonenstrahl austritt. Von seiner Quelle im Teilchenbeschleuniger bis zum Strahlkopf legt er einen Weg von 50 Metern zurück, abgeschirmt durch dicke Betonwände. Erst auf den letzten Metern läuft er durch die Gantry.

„Eine Gantry ist eine drehbare Strahlführung, montiert auf einem mechanischen Drehkörper", erklärt der Physiker und Projektleiter der Gantry 3, Alexander Koschik. „Sie besteht im Wesentlichen aus einem Vakuumrohr, in dem der Protonenstrahl auf den letzten paar Metern vor den Strahlkopf geführt wird. Die Gantry 3 ist nach rechts und links um je 180 Grad drehbar. Dadurch lässt sich der Strahlkopf mit dem austretenden Protonenstrahl von allen Seiten auf den Tumor richten." Neun Haupt-Magnete, welche das Vakuumrohr in der Gantry umgeben, lenken die Protonen als Strahlenbündel bis auf einen Millimeter genau zum Patienten. Diese Magnete sind neben dem Drehkörper für das Gewicht der Gantry 3 verantwortlich. Allein 220 Tonnen - mehr als das Gewicht eines Blauwales - müssen bei einer Bestrahlung gedreht werden mit einer Rundlaufgenauigkeit von 50 Mikrometern. Das bewerkstelligen zwei nur 10 PS starke Antriebsmotoren.


Enge Zusammenarbeit mit Schweizer Firmen

Mit dem neuen Gerät werden am ZPT gleich mehrere Rekorde gebrochen. Es ist nicht nur die grösste der drei Gantrys, sie wurde auch in der bislang kürzesten Zeit installiert. „Einen Bestrahlungsplatz wie diese Gantry zu bauen, war eine grosse Herausforderung", sagt Damien Weber. „Das war nur möglich dank der hervorragenden Zusammenarbeit mit unseren Schweizer Industriepartnern sowie der Unterstützung durch verschiedene Fachabteilungen des PSI. In gemeinsamer Anstrengung haben wir hier Spitzentechnologie für Krebskranke installiert." Der erste Patient an der Gantry 3 wird voraussichtlich im Juni bestrahlt werden.

Die Gantry 3 ist für das PSI die erste Bestrahlungseinrichtung, die gemeinsam mit einem kommerziellen Anbieter - der Firma Varian Medical Systems aus Cham - errichtet wurde. Dazu Damien Weber: „Wir haben in der Gantry 3 zwei verschiedene Welten zusammengebracht. Die Industriepartner mit ihrem Know-how und das PSI mit seiner langjährigen Erfahrung aus der Grundlagenforschung und der Entwicklung innovativer Lösungen für die Protonentherapie. Das war ein Lerneffekt für beide." Die grösste Herausforderung dabei: Die Gantry 3 musste an den ZPT-eigenen Teilchenbeschleuniger sowie an die Kontroll- und Sicherheitssysteme des PSI angepasst werden. „Beide Systeme arbeiten vor allem im Bereich der Software sehr verschieden", erklärt Alexander Koschik. „Das ist so, als ob sie zwei unterschiedliche Sprachen sprechen und sich nicht verständigen können." Um diese „Sprachbarriere" zu überwinden und beide Systeme miteinander zu verbinden, haben PSI-Forschende und Varian-Mitarbeiter in mehrjähriger Arbeit spezielle Schnittstellen entwickelt. Diese funktionieren nun absolut zuverlässig und steuern zum Beispiel die mehrstufigen Sicherheitssysteme entlang der Strahllinie. Das Wissen über diese Technik kommt jetzt auch den Industriepartnern zugute.  

Der Bestrahlungsplatz Gantry 3 wurde mit Geldern aus dem Lotteriefonds des Kantons Zürich sowie PSI-eigenen Geldern finanziert. Das Gesamtbudget betrug 25 Millionen Schweizer Franken.